Abgründiger Historienfilm aus Österreich im Wettbewerb der Berlinale

„Des Teufels Bad“ – Schauergeschichte um weibliche Depression und Todessehnsucht im 18. Jahrhundert

Stand
AUTOR/IN
Julia Haungs
Julia Haungs, Autorin  und Redakteurin, SWR Kultur

Der österreichische Wettbewerbsbeitrag „Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala beschäftigt sich mit dem Thema Depression im 18. Jahrhundert. Er beleuchtet den furchtbaren Weg, den viele Depressive, vor allem Frauen, wählten, um ihr Leben zu beenden, ohne als Selbstmörderinnen zu gelten. Ein abgründiger Historienfilm mit Horrorelementen, der dem Zuschauer einiges abverlangt.

Die eigene Hinrichtung provozieren

„Ich muss etwas gestehen“. Mit diesem schlichten Satz klopft die junge Bäuerin Agnes an die Pforte des kirchlichen Inquisitors. Agnes hat ein Kind umgebracht, aber eine klassische Kindsmörderin ist sie nicht. Sie kannte den Jungen gar nicht. Er diente ihr nur als Mittel zum Zweck. Denn eigentlich will Agnes, die an Depressionen leidet, einfach nur sterben.

Damals wählten viele Frauen den Weg des so genannten „mittelbaren Selbstmords“: um sicher hingerichtet zu werden, begingen sie einen Mord. Da sie vorher noch ihre Sünden beichten durften, hofften sie, auf diesem Wege der Verdammnis zu entgehen. Aber sich selbst das Leben zu nehmen, gilt im erzkatholischen Oberösterreich Mitte des 18.Jahrhunderts als schlimmste aller Sünden.

Filmstill Des Teufels Bad
Oberösterreich im Jahr 1750: Selbstmord galt zu dieser Zeit strenger katholischer und protestantischer Gläubigkeit als schlimmste aller Sünden, auch, weil man es nicht mehr bereuen konnte. Die meist der Todessehnsucht zugrundeliegegende Depression nannte man umgangssprachlich „des Teufels Bad“. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill Des Teufels Bad
Die tiefreligiöse und hochsensible Agnes fühlt sich fremd in der Welt ihres Mannes Wolf, in die sie frisch eingeheiratet hat. Eine gefühlskalte Welt voller Arbeit, Verrichtungen und Erwartungen umgibt sie. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill Des Teufels Bad
Immer mehr zieht sich Agnes (Anja Plaschg) zurück. Immer enger wird ihr inneres Gefängnis, immer erdrückender ihre Melancholie. Ein Gewaltakt scheint ihr bald der einzige Ausweg. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill Des Teufels Bad
„Des Teufels Bad“ zeigt den harten Alltag der Frauen im 18. Jahrhundert, bestimmt von religiösen Dogmen und Tabus. Ein Film basierend auf historischen Gerichtsprotokollen, über ein erschütterndes, bisher unbeleuchtetes Kapitel europäischer Geschichte. Bild in Detailansicht öffnen

Gerichtsakten belegen rund 400 Fälle von „mittelbaren Selbstmord“

Das österreichische Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala greifen in „Des Teufels Bad“ ein bislang wenig bekanntes Phänomen auf. Dabei ist es in Gerichtsakten dokumentiert. Allein im deutschen Sprachraum finden sich ungefähr 400 Fälle solcher Frauen, die für sich keinen anderen Ausweg sahen.

Basierend auf historischen Gerichtsprotokollen erzählt „Des Teufels Bad“, wie es so weit kommen konnte: wie die empfindsame, tief gläubige Agnes nach der Hochzeit an ihrem neuen Umfeld verzweifelt: am harten Alltag und am wortlosen Ehemann, der sie nachts nicht anfasst, wo sich sie doch so sehnlich ein Kind wünscht. Dazu die Schwiegermutter, die ihr Tun misstrauisch beäugt.

Filmstill Des Teufels Bad
Immer mehr zieht sich Agnes (Anja Plaschg) zurück. Immer enger wird ihr inneres Gefängnis, immer erdrückender ihre Melancholie. Ein Gewaltakt scheint ihr bald der einzige Ausweg.

Angst und Einsamkeit führten viele Frauen in die Depression

Gesprochen wird wenig in diesem strengen Film, in dem es niemals richtig hell wird. Die Einsamkeit und die Angst, die Agnes in ihrer neuen Umgebung spürt, weiten sich bald aus zu einer Depression.

Eine Krankheit, die man im 18. Jahrhundert nur als „des Teufels Bad“ kennt und für die ihr Umfeld keinerlei Verständnis aufbringt. Im Wald, wo Agnes sich viel aufhält, findet die Kamera von Martin Gschlacht starke Bilder für ihr Seelenleben: ein Dornengestrüpp, in dem sie sich heillos verheddert zum Beispiel oder eine moosbewachsene Erdhöhle, in der sie sich wie ein Fötus einrollt.

Filmstill Des Teufels Bad
„Des Teufels Bad“ zeigt den harten Alltag der Frauen im 18. Jahrhundert, bestimmt von religiösen Dogmen und Tabus. Ein Film basierend auf historischen Gerichtsprotokollen, über ein erschütterndes, bisher unbeleuchtetes Kapitel europäischer Geschichte.

Ebenso genau wie der Film Agnes‘ Innenwelt erkundet, dokumentiert er das bäuerliche Leben ihrer Außenwelt. Ausführlich zeigt „Des Teufels Bad“, wie hart die Menschen beim Fischfang oder auf dem Acker für ihr karges Auskommen schuften müssen. In einigen quälend expliziten Szenen zeigt er die Gewalt, die zum Alltag gehört. Diese Welt bietet keinen Raum für Verbundenheit, Verletzlichkeit oder Abweichung von der Norm.

Zwänge des 18. Jahrhunderts erinnern an heutige Leistungsgesellschaft

Dass eine empfindsame Seele wie Agnes in dieser Umgebung eingeht, erscheint fast zwangsläufig. Anja Plaschg, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen als Musikerin „Soap&Skin“, verkörpert sie mit großer Intensität.

Sie spielt sie als eine Frau, die gleich zweifach gefangen ist: in ihrer Krankheit ebenso wie in den Regeln und Zwängen einer Gesellschaft, in der der Einzelne funktionieren muss. Insofern erscheint das 18.Jahrhundert, das in vielem so archaisch wirkt, dann auch wieder ziemlich nah dran an der Leistungsgesellschaft unserer Zeit. Einer Zeit im Übrigen, in der Depressionen zwar behandelbar sind, aber nach wie vor zu den am häufigsten übersehenen Krankheiten gehören.

Der Kinostart von „Des Teufels Bad“ steht noch nicht fest.

Die 74. Berlinale

Berlin

Internationale Filmfestspiele Berlin Bären-Verleihung mit Palituch: Die Berlinale hat ihren Skandal

Die Preisverleihung bei der Berlinale wurde überschattet von Preisträgern, die antiisraelische Hassparolen formulierten und einem Publikum, das dazu schwieg. Das Filmfestival hat nun seinen Skandal wie die Documenta vor zwei Jahren, meint Filmkritiker Rüdiger Suchsland.

SWR2 am Morgen SWR2

Mit Oppenheimer-Star Cillian Murphy Harte Kost zum Auftakt: Die 74. Berlinale eröffnet mit „Small Things Like These”

Die Berlinale hat mit dem Wettbewerbsbeitrag „Small Things Like These“ die 74. Ausgabe des Festivals eröffnet. Der Film mit Oppenheimer-Star Cillian Murphy ist ein schwergewichtiger Auftakt für ein Festival in politisch aufgeladenen Zeiten.

SWR2 am Morgen SWR2

Deutscher Film im Wettbewerb der Berlinale Widerstand aus Anstand: „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen

Mit „In Liebe, Eure Hilde“ feierte der erste von zwei deutschen Wettbewerbsbeiträgen seine Premiere bei der Berlinale. Regisseur Andreas Dresen erzählt darin die Geschichte der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi.

SWR2 am Morgen SWR2

Filme über Restitution „Dahomey“ und „Das leere Grab“: Berlinale-Filme thematisieren koloniales Raubgut

Es ist eines der politischen Themen der 74. Berlinale: die Rückgabe kolonialer Raubgüter nach Afrika. Zwei Filme machen klar: Vor Europa und Afrika liegt noch ein sehr langer Weg.

SWR2 am Morgen SWR2

Mehr Kino in SWR2

Rätselhaft-schöner Liebesfilm mit Starbesetzung Zärtliche Utopie: „All of Us Strangers“ von Andrew Haigh

Andrew Haigh erzählt in seinen Filmen oft von schmerzhaften zwischenmenschlichen Konstellationen. In „All of Us Strangers“ geht es um die Wiederbegegnung von Adam mit seinen toten Eltern, die er als Kind verloren hat.

SWR2 am Morgen SWR2

Von der Musical-Bühne zurück ins Kino Remake des Spielberg-Films „Die Farbe Lila“ als Feelgood-Kinomusical

In Hollywood sind Remakes ein wiederkehrendes Phänomen, derselbe Stoff wird über Jahrzehnte hinweg neu aufgelegt. So geschehen jetzt mit Steven Spielbergs Film „Die Farbe Lila“.

SWR2 am Morgen SWR2

Film Biopic über den Musiker und Polit-Aktivisten: „Bob Marley: One Love"

Superhelden und Weltrettung locken immer weniger Zuschauer ins Kino, daher setzt die Kinoindustrie setzt auf Biopics über SängerInnen oder Musikgruppen. Bei Bob Marley stehen sein Aktivismus und seine Botschaft im Zentrum. Der Film neigt dazu, den Sänger zu idealisieren, als jemand der die Aufgabe hat, die Welt durch seine politisch-romantischen Texte zu retten.

SWR2 Kultur aktuell SWR2